Box-Sport und rechter Aktivismus unter der Schwarzen Sonne – Wer sind die neuen Neonazis im Westerzgebirge?

Die aus den USA nach Europa geschwappte Organisationsform sogenannter Active Clubs soll sich etablieren, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Nicht allen Neonazis gelingt solche Zurückhaltung ohne offene Nazi-Huldigung.

Schneeberg.Das Gesicht ist hinter einer Strumpfmaske mit aufgedrucktem Totenkopf verborgen, die Augen hinter einer Sonnenbrille. Auf verbotene Nazi-Kennzeichen greift der Mann mit dem schwarzen Wutbürger-Hut auf seinem Foto aber nicht zurück. Der Totenkopf auf seinem Gesicht ist ein anderer als der jener SS-Totenkopfverbände, die einst den industriellen Völkermord an den Juden umsetzten.

Dennoch steckt in der optischen Aufmachung auf dem Telegram-Kanal des „Active Clubs Westerzgebirge“ ein klares Bekenntnis. Der Kopf auf dem Foto ist gerahmt von einer Schwarzen Sonne. Sie prangt hinter dem Mann auf einem Banner an der Wand.

Anders als besagter SS-Totenkopf und die Doppel-Siegrune, jenes gezackte doppelte S der sogenannten Schutzstaffel (SS) der Nationalsozialisten, ist die Schwarze Sonne nicht verboten. Obwohl sie ein SS-Huldigungssymbol ist. Ein Verbot laut Strafgesetz gilt nur für ehemals als „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ genutzte oder verwechselbar ähnliche Symbole. Darunter fällt die Schwarze Sonne nicht.

Von den Nazis wurde sie nicht als Kennzeichen nach außen getragen. Ihr Kultstatus in der heutigen Neonaziszene beruht auf einem Mosaik im Fußboden des Obergruppenführersaals der Wewelsburg bei Paderborn. Das ist jene Burg, die der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, zum SS-Domizil umbauen ließ. Im dortigen Marmorboden sind die im Kreis angeordneten gespiegelten zwölf Siegrunen eingelassen.

Box-Sport und Anstiften zu Unruhen mit Todesfolge in Charlottesville

Gegen Gesetze verstößt der Telegram-Auftritt des im Mai gegründeten „Active Clubs Westerzgebirge“ somit bisher nicht. Doch hält sich der Auftritt auch nicht an jene Regeln, die Robert Rundo für „Active Clubs“ aufstellte. Der Mitbegründer der in den USA entstandenen und über Frankreich nach Europa geschwappten Organisationsform der Neonazi-Bewegung empfiehlt Nachahmern, nach außen nicht auf zu deutliche Insignien zu setzen.

Selbst wenn SS-Runen in den USA gar nicht verboten sind, halte er deren Verwendung als Logo für eine schlechte Idee, so Rundo. „Von so was würde ich abraten“, erklärte der Gründer der „Active Clubs“-Bewegung in einem Anleitungs-Podcast. Immerhin gehe es darum, neue Mitglieder anzusprechen, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Okay sei es, „beiläufige Bemerkungen fallen zu lassen“. Etwa, dass man „eine Truppe weißer Jungs“ sei, die sich treffen. Doch solle in der Außenwerbung kein Bezug zum Nationalsozialismus im Mittelpunkt stehen, allenfalls „Propaganda hoher Qualität“ wie auch erlebnisreiche Freizeitbeschäftigung.

Rundo erwähnt als Beispiel Videos kämpferischer Ertüchtigung – etwa vom Boxen. „Physische Fitness ist das Herz eines Active Clubs.“ Der Amerikaner erklärt die Bedeutsamkeit solchen Kampfsports: „In heutigen Zeiten gibt es so wenig für Jungs wie uns, für Männer, sich verdient zu machen, sich selbst herauszufordern“, sagt Rundo. Mit eigenen Aktionen hat er nicht nur sich selbst herausgefordert, sondern auch das Rechtssystem der USA.

Er sitzt in Haft, wurde selbst in den bis ins Extreme liberalen USA verurteilt – wegen Aufwiegelung zu Landfriedensbruch und Massenunruhen. Vier weitere Köpfe aus Rundos kalifornischer Active-Club-Vorläufertruppe „Rise Above Movement“ sind als Anstachler jener Tumulte verurteilt, die 2017 in Charlottesville im US-Staat Virginia 19 Verletzte und ein Todesopfer forderten. Bei den Unruhen wurde die 32-jährige Bürgerrechtlerin Heather Heyer durch die Amokfahrt eines Rassisten getötet. Er wurde wegen Mordes zu 419 Jahren Haft verurteilt.

Zwar habe Sachsens Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Entstehung der „Active Clubs“ im Freistaat im Blick, sagt LfV-Sprecherin Patricia Vernhold auf Anfrage der „Freien Presse“. Doch sei es schwierig, etwas über die Anzahl dahinter stehender Aktivisten zu sagen. Während der Telegram-Kanal nach wenigen Wochen rund 100 Abonnenten zählt, schätzt das LfV die Köpfe dahinter auf eine Zahl im einstelligen Bereich.

Zumindest über Socialmedia-Kanäle im Netz sind einzelne Clubs mit Neonazi-Gruppen in anderen Orten verbunden. Die Westerzgebirger etwa mit „Balaclava Graphics“ aus Bautzen und mit der Dachgruppe „Active Club Germania“, die auf Telegram auch erst seit zwei Monaten besteht.

„Das weltweit größte und am schnellsten wachsende Netzwerk der gewaltorientierten extremen Rechten“

Alexander Ritzmann vom Counter Extremism Project, der die Active Clubs als „das weltweit größte und am schnellsten wachsende Netzwerk der gewaltorientierten extremen Rechten“ einschätzt, zählt allein in den letzten Wochen acht Club-Gründungen bundesweit, neben dem im Westerzgebirge noch weitere in Brandenburg, Kassel, Mainfranken, Niederrhein, Nordgau, Saalfeld und Taunus.

Insgesamt gebe es inzwischen rund 100 Clubs in 23 Ländern. Die Active-Club-Strategie habe zum Ziel, „im Verborgenen eine rechtsextreme Schatten-Miliz aufzubauen“, die dann an einem Tag X zuschlagen solle, sagt Alexander Ritzmann.

Apropos gewaltorientiert: Schon zur Zeit ihrer Entstehung sah der US-Sender CNN die weiß-rassistische Club-Bewegung den „Fightcubs“ ähnlicher als jenen kapuzenvermummten Ku-Klux-Klan-Anhängern. Zur losen Organisationsform einzelner Gruppen, dem zu deutsch „führerlosen Widerstand“ (leaderless resistance), räumt Robert Rundo ein, das sei „kein wirklich neues Konzept. Das gab es auch zuvor in der Geschichte.“

Er mag damit auf SA-Gruppen der Nazis vor dem Zweiten Weltkrieg anspielen, die auch Alexander Ritzmann erwähnt. Doch passt Rundos Beschreibung auch auf Organisationsformen der Neonazi-Szene seit den 90er-Jahren. Neben dem erwähnten „führerlosen Widerstand“ einzelner Zellen, wie er im Terror des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) auf die Spitze getrieben wurde, gibt es da noch das Prinzip, dass sich einzelne Gruppen gar nicht „direkt kennen“ müssen, so Rundo, um dennoch koordiniert zu handeln.

Der aus Thüringen stammende Szeneaussteiger Christian Weißgerber erörterte genau dieses Prinzip des sogenannten „strukturlosen Netzwerks“ vormals der „Freien Presse“, um die Szene-Einflüsse auf den geistig verwirrten Hanau-Attentäter deutlich zu machen. Natürlich gebe es Strippenzieher, die im Hintergrund bleiben, neben aktiven Machern, die sich ihre Sporen durch Aktionen erst verdienen wollen.

„Um in dieser Art verbunden zu sein, muss ich gar nicht mal wissen, wie der andere heißt. Das hat den Vorteil, dass man einander auch nicht belasten kann“, beschrieb der Insider, der in Thüringen früher selbst eine Gruppe „Autonomer Nationalisten“ anführte.

Namenlose und dennoch dirigierende Verbindungen übers Netz: Sachsens Verfassungsschutz ist aktuell neben dem „Active Club Westerzgebirge“ noch in Leipzig ein weiterer Club bekannt, sagt Patricia Vernhold.

„Aber ob da Leute bei der Stange bleiben oder sich das Ganze schnell wieder erledigt, bleibt abzuwarten.“